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Filmplakat von Men

Men

85 min | Dokumentation | FSK 12
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Ein Büroangestellter und vierfacher Vater übernimmt alle häuslichen Pflichten, als seine vielbeschäftigte Frau sich auf ihre Karriere konzentriert. Dies sorgt für Unruhe unter seinen männlichen Kollegen und den Mietern des Wohnhauses, die um ihre eigene eheliche Rolle bangen.

Vorstellungen

Passage Kinos Leipzig
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Hainstraße 19a
04109 Leipzig
Abaton Kino Hamburg
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Allende-Platz 3
20146 Hamburg
Filmstudio Glückauf Essen
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45128 Essen
Kino Lumière Göttingen
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Geismar Landstraße 19
37083 Göttingen
Rio Filmtheater Mülheim
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Synagogenplatz 3
45468 Mülheim an der Ruhr

Filmkritik

Im Vorspann von „Wo/men“ fährt die Kamera aus der Vogelperspektive über etwas, das aussieht wie eine Naht oder eine Narbe. Dabei zieht hier nur ein Huftier seine Bahn durch den Schnee, irgendwo in den Bergen Albaniens. Eine E-Gitarre dröhnt dazu und lädt das Bild mit einer Energie auf, die zunächst unpassend scheint. Schnitt. Junge Feministinnen bei einer Demonstration in der Stadt. Schnitt. Ein junges Mädchen bringt einer alten Frau Kaffee. Schnitt. Jemand hackt Holz, setzt die Axt an, und mit diesem Schlag beginnt der Film.

Das Entzweihauen haben die deutschen Dokumentarfilmerinnen Kristine Nrecaj und Birthe Templin ihrem Film sichtbar eingeschrieben: „Wo/men“ ist die spielerische Übersetzung des albanischen Begriffs Burrneshë, ein Wort, das aus zwei Teilen besteht, der Vokabel für Mann, versehen mit einer weiblichen Endung. Mannfrau könnte man also auf Deutsch sagen, oder: Männin.

Stark und unabhängig

Die Holzhackerin vom Vorspann ist eine von ihnen. Eine Burrnesha zu sein, sagt die ansonsten wortkarge Lumturia, bedeute für sie, stark und unabhängig zu sein. „Zu arbeiten. Auf dem Bauernhof, mit den Tieren, in den Bergen, im Wald, auf dem Feld. Wie ein Mann.“ Schon seit ihrer Kindheit habe sie so gelebt, und sie liebe dieses Leben in Unabhängigkeit.

Burrneshas sind Frauen, die in der traditionellen Gesellschaftsstruktur des ländlichen Albaniens in die soziale Rolle des Mannes geschlüpft sind. Und dabei vollständig als Männer akzeptiert werden. Die Gründe für diesen Schritt sind vielfältig, ebenso das Alter, von dem an dieser Übertritt vollzogen wird. Manche werden schon von klein auf als Sohn behandelt, andere entscheiden sich erst als junge Erwachsene. Einigen von ihnen graut schlichtweg vor der arrangierten Ehe, die junge Mädchen schon mit 15 Jahren ereilen kann. Doch ursprünglich und hauptsächlich sind es ökonomische und soziale Notwendigkeiten: Fehlt es an einem männlichen Erben, etwa weil die Söhne gestorben sind, kann ein Mädchen oder eine Frau zum Familienoberhaupt werden, um die Familie offiziell bei Versammlungen zu vertreten, sie zu versorgen und zu unterstützen.

Eine Burrnesha legt dazu vor den Eltern oder den Dorfältesten einen Schwur ab, kleidet sich als Mann, darf Waffen tragen und ist nach altem Recht sogar zur Blutrache berechtigt. Sie darf typische Männerberufe ergreifen, öffentlich ihr Wort erheben, außerdem rauchen und trinken. Alles Dinge, die in der archaischen Gesellschaft, in der noch das mittelalterliche Recht des „Kanun“ Macht besitzt, Frauen verboten und bis heute teilweise schlecht angesehen sind. Doch der Schwur hat auch seinen Preis: Burrneshas, auch „eingeschworene Jungfrauen“ genannt, verpflichten sich, bis zu ihrem Lebensende bei ihrer Familie zu bleiben und keine eigene zu gründen.

Mit Respekt und Feingefühl

In sechs Porträts nähern sich Nrecaj und Templin sehr unterschiedlichen Burrneshas. Die meist älteren bis hochbetagten Frauen gehören zu den letzten ihrer Art, denn die Praxis stirbt aus. Der Film wird damit zu einem wichtigen Zeitzeugnis. Doch statt mit ethnologischer Neugierde gegenüber einem befremdlichen Kuriosum nähern sich die Regisseurinnen mit Respekt und Feingefühl, stellen Fragen wie: „Was ist für dich Liebe?“ und lassen die sehr unterschiedlichen Antworten stehen, von „etwas absolut Sinnloses“ bis „wenn wir alle zusammen sind und das Haus voll ist“. In Nahaufnahmen, aber auch in Rückenansichten, oft vor erhabener Bergkulisse oder am Strand, ermöglicht Alfred Nrecajs Kamera Distanz und Nachvollzug gleichermaßen. Alte Fotos zeigen junge Männer, die einst Mädchen waren. Nicht alle haben diesen Schritt ganz freiwillig getan, wie die zarte, fast zerbrechliche Marta, die mit elf Jahren zum Familienoberhaupt werden musste. Eine andere wurde schon mit drei Jahren als Junge behandelt und mochte es; wieder eine andere beschloss mit 23, diesen Weg zu gehen, um die Mutter zu unterstützen. Auch genervt zu sein von den langen Haaren und von den grausigen Ehe- und Trennungsgeschichten, die man mitbekam, konnte den Entschluss reifen lassen.

Evelyn Racks Montage lässt die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Lebenswelten mal kontrastierend, mal einander erschließend für sich stehen. So entsteht ein Raum, der verengt wäre, würde er in einem Voice-Over auktorial eingeordnet oder würden die Porträtierten ständig mit voreingenommenen Fragen zur geschlechtlichen Identität belangt. Wie in den Ausschnitten aus albanischen Talkshows, wo eine junge Moderatorin rhetorisch fragt, ob man nicht auch als Frau stark und unabhängig sein könne; oder wo ein anderer Studiogast eine Burrnesha fragt, ob sie jemals sexuelles Verlangen gefühlt habe. Die Befragten sind zu cool, um sich verunsichern zu lassen. Und auch zu freigebig und großzügig. 

Ohne Gedankenverknotungen zur Geschlechtsidentität

So wird allmählich die Trennlinie brüchig, die besagt, dass Geschlecht einerseits etwas Biologisches („Sex“) und andererseits auch etwas durch gesellschaftliche Erwartungen Konstruiertes ist („Gender“). Ist es womöglich vor allem etwas Gemachtes? Wer sein Leben lang als Mann behandelt wird und damit einverstanden ist, aus welchen Gründen auch immer, ist irgendwann vom Habitus her ganz ein Mann. Mit Gedankenverknotungen zur Geschlechtsidentität halten sich die sechs nicht auf: Sie stelle sich nicht hin und sage, dass sie Burrnesha sei: „Ich bin der Mann, der ich bin. Oder die Frau, die ich bin“, sagt eine von ihnen und bläst Rauch in die Luft.

Dem Phänomen der „eingeschworenen Jungfrauen“ haben sich bereits Spielfilme gewidmet. Doch sie stülpen ihrerseits tradierte Rollen über dieses Konzept: Bujar Alimanis „Luanas Schwur“ (2021) mit Rina Krasniqi als junger Frau, die aus Zorn zum Mann wird, ist ein Rachedrama. In Laura Bispuris „Sworn Virgin“ (2015) mit Alba Rohrwacher geht es um die sexuelle Selbstfindung der Hauptfigur. Die Einengung des Blickwinkels aufs Individuelle und Dramatische erzeugt anders als „Wo/men“ jedoch kaum Verständnis für die Verwobenheit und gleichzeitige Widerständigkeit solcher Frauenbiografien – und schon gar nicht für die Fülle ihres sozialen Lebens. Diese Frauen oder Männinnen stellen das bestehende System kaum in Frage, schützen aber – etwa als Busfahrer – Frauen vor sexuellen Übergriffen, und sei es unter Androhung von Gewalt.

Bittere Freiheit, Dankbarkeit und Verbundenheit

„Wo/men“ erzählt von der bitteren Freiheit, erst dann ganz Mensch sein zu können, wenn die soziale Rolle „Frau“ abgelegt wird. Doch er erzählt auch von der Dankbarkeit und Verbundenheit, die die jüngeren Verwandten diesen „Onkeln“ oder „Tanten“ entgegenbringen; sichtbar in kleinen Gesten, beim Servieren einer Tasse Kaffee, oder beim vorsichtigen Ankleiden. Als handele es sich bei der betagten Marta, die nie die Schule besuchen durfte und zeitlebens für die anderen ihren Mann stand, um eine zerbrechliche Kostbarkeit.

Erschienen auf filmdienst.deMenVon: Cosima Lutz (14.4.2025)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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