








- Veröffentlichung02.10.2025
- RegieOlga Kosanovic
- ProduktionÖsterreich (2025)
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen










Filmkritik
Ein Baby wird unter Applaus und vielen Ohs auf die Studiobühne getragen; der Moderator dreht mit Schwung das Glücksrad, das augenblicklich über den Pass des neugeborenen Menschen entscheidet: Es ist Österreich! Nachdem per Los auch noch der sozioökonomische Status der Eltern bestimmt wurde – Angestellte, wohlhabender Hintergrund in Tirol –, gibt es in der Sendung prompt den Stempel für die gültigen Papiere. Die satirisch überdrehte „Luckyversal Show“ nimmt den sozialwissenschaftlichen Terminus der „Geburtenlotterie“ beim Wort. Der besagt, dass Menschen in bestimmte Lebensumstände hineingeboren werden, auf die sie keinen Einfluss haben. Die Herkunft – und damit auch der Pass – entscheiden über Faktoren wie Freiheiten, Bildungschancen und ökonomisches Fortkommen.
Wie Kafka vor dem Gesetz
Die Filmemacherin Olga Kosanović ist in Österreich geboren und zur Schule gegangen; sie spricht fließend Deutsch mit wienerischem Einschlag. Sie ist aber auch die Tochter serbischer Eltern. Als sie einen Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft stellt, erhält sie ein elfseitiges Ablehnungsschreiben. Sie habe sich in den vergangenen 15 Jahren 58 Tage zu lang im Ausland aufgehalten. Damit ist der Film bei der nächsten Spieleanalogie angekommen: einem Brettspiel mit dem sprechenden Namen „Struggle“. Olga Kosanović muss zurück aufs Startfeld – was im echten Leben bedeutet, dass sie sich mit unzähligen anderen Wiener:innen in einer Informationsveranstaltung für Anwärter:innen auf die österreichische Staatsbürgerschaft wiederfindet.
Was nach einem absurden Einzelfall klingt, nach einem kafkaesken Streich, hat System und ist politisch gewollt. Rund 20 Prozent der etwa neun Millionen Einwohner in Österreich sind nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. „Ich bitte Sie wirklich genauestens aufzupassen“, appelliert der Mitarbeiter bei der Veranstaltung; das Staatsbürgerschaftsgesetz sei eines der strengsten und restriktivsten Gesetze des Landes. Tatsächlich liegt Österreich im sogenannten „Migration Policy Index“ auf dem letzten Platz unter den europäischen Staaten; im internationalen Ranking reiht sich das Land direkt hinter den Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien ein. Die Anforderungen – vom Aufenthalt und der Niederlassung über ein Mindesteinkommen bis hin zur Straffreiheit – sind so eng ausgelegt, dass eine missachtete rote Ampel oder ein Sozialhilfeempfänger in der Wohngemeinschaft für einen negativen Bescheid schon ausreichen können. „Am besten Auto abmelden und 3 Jahre lang stehen lassen.“
Lustvolle Gedankenspiele
Als Kosanović mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit ging, entfachte ihr Fall kurzzeitig sogar eine Debatte im Internet. Dem hässlichen Kommentar eines Users namens „Desert Eagle“ verdankt der Film seinen Titel: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner“. Kosanovićs Antwort darauf ist eine gründliche Begriffsbefragung. Ihre Mittel: satirische Spielszenen, performative Elemente, Gedankenspiele sowie Interviews mit Jurist:innen, Philosoph:innen und Künstler:innen sowie Österreicher:innen mit und ohne Staatsbürgerschaft. Was ist ein Wir, was ist typisch österreichisch? Wenn du die Gesetze schreiben würdest, welche Kriterien fändest du wichtig?
Kosanović, die im Film wiederholt selbst auftritt, als mit Papieren kämpfende Antragstellerin und Gesprächspartnerin im Off, versucht unterschiedliche Stimmen einzubinden und dabei auch als „natürlich“ erachtete Annahmen über Nation, Zugehörigkeit und Identität in Frage zu stellen. Selbst im fiktiven Dialog mit „Desert Eagle“ ist Kosanovićs Haltung eher versöhnlich als offensiv; die Filmemacherin geht den Polarisierungsdynamiken der sozialen Medien entschieden aus dem Weg. Ihre Strategie ist vielmehr: Entwaffnung.
Eine multikulturelle Mischung
Am Ende bleibt von der „rassischen Reinheit“ der zum Nationalgut hochstilisierten Edelpferde in der spanischen (!) Hofreitschule nicht viel übrig. In die Zucht, die im slowenischen Lipica stattfindet, sind Araber, andalusische Pferde und italienische Hengste eingegangen. Die Lipizzaner sind, eine Ansage an alle „Desert Eagles“ nicht nur in Österreich: eine multikulturelle Mischung.