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Filmkritik
Wie unterschiedlich die Welten sind, aus denen sich die alleinerziehende Marta (Ludovica Martino) und der viele Jahre ältere, offen schwule Lorenzo (Marco Leonardi) nach Ende des Zweiten Weltkrieges einander annähern, wird in einer Rückblende überdeutlich. Glücklich verliebt liefern sich Marta und ihr Verlobter Michele (Francesco Aricò) da auf den Fahrrädern ein Wettrennen durch eine idyllische Hügellandschaft, als sie von Weitem jemanden singen hören. Sie schleichen sich heran und entdecken Lorenzo, der sich nackt bis auf die Unterhose an einem kleinen Bach sonnt und eine Opernarie schmettert. Ausgelassen kichernd sammeln die beiden Steine auf und bewerfen und beschimpfen die „Schwuchtel“, während Lorenzo verzweifelt in Deckung geht. „Hau ab“, rufen Michele und Marta lachend. „Der Duce hat Recht“, prustet Michele, „sie sollten alle getötet werden.“
Als Assistent des Pfarrers wird Lorenzo in der ländlich-konservativen Gemeinde mehr geduldet als respektiert. Marta ist erst siebzehn und schwanger, als Michele in den Krieg zieht, aus dem er nicht mehr zurückkehrt. Drei Jahre später, als die Waffen schweigen, gehört auch Marta als ledige Mutter zu den Geduldeten und Verachteten im Dorf.
Jazz und Schreibmaschine
Ähnlich plakativ wie Martas Erinnerung gestaltet das Ehepaar Cristiano Bortone und Daniela Porto, das für Regie und Drehbuch gemeinsam verantwortlich zeichnet, auch den Ausgangskonflikt des Dramas. Auf Drängen ihrer Familie soll die grazile, feinsinnige Marta mit dem viele Jahre älteren, grobschlächtig-reaktionären Bauern Gino verheiratet werden. Als Lorenzo mit den Hochzeitsvorbereitungen beauftragt wird, entwickelt sich zwischen Marta und ihm eine zarte Freundschaft. Heimlich nimmt er sie mit auf eine Schwulen-Lesben-Party, auf der Jazz gespielt wird, und macht sie mit einer Frauenrechtlerin bekannt. Obwohl ihr künftiger Ehemann es Marta verbietet, schleicht sie sich von nun an regelmäßig davon und besucht einen von der Kommunistischen Partei organisierten Kurs, um das Schreiben auf einer Schreibmaschine zu lernen. Zwar hält Marta weiterhin an den Hochzeitsplänen fest, ist aber zugleich entschlossen, arbeiten und wählen zu gehen. 1946 ist das in Italien erstmals auch Frauen erlaubt. An welche Weggabelung sie das führt, ist schnell absehbar.
„Mein Platz ist hier“ verpackt eine moderne Selbstermächtigungsgeschichte in ein nostalgisches Gewand. Die Digitalaufnahmen ahmen grobkörniges, verwittertes Zelluloid nach. Braun- und Grautöne und gedeckte Farben verbreiten das wehmütige Flair einer vergangenen, bieder-harten, aber zugleich zauberhaft schönen Zeit. Dass der Film sich trotz seines märchenhaften Einschlags nicht in emanzipatorischen Klischees verliert, liegt vor allem daran, dass mit Ausnahme von Gino alle Figuren als gemischte Charaktere dargestellt werden, mit positiven und negativen Facetten, ohne sie moralisch bloßzustellen.
Schwach werden und bei sich bleiben
Lorenzo erkennt sein jüngeres Selbst in Marta wieder, muss aber auch einsehen, dass sie anders ist als er und sie beide sich in unterschiedlichen Lebensphasen befinden. Ludovica Martino und Marco Leonardi verkörpern ihre Figuren mit solcher Hingabe, dass sie auch dann, wenn sie schwach werden, noch bei sich bleiben. Ein vor pittoresken Landschaftsaufnahmen stimmungsvoll inszeniertes Drama, das eine beschaulich poetische Aura wie eine Verfilmung verbreitet, die nicht ganz an die Romanvorlage heranreicht. Nur dass der Roman von Daniela Porto erst mit dem Film erschienen ist.