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Filmkritik
In einer Turnhalle dehnt ein junger Mann sein Bein an einer Ballettstange. Er sei der erste Rom, der professioneller Tänzer geworden ist, sagt er und führt zum Beweis ein Tänzchen vor. Doch gleich darauf zweifelt er seine Aussage an: Was ist, wenn das nicht stimmt? Dann wären die Zuschauer enttäuscht, denn sie hören gerne Geschichten über Außenseiter, die es zu etwas gebracht haben. Im Anschluss an den „Tänzer“ sieht man einen Drogendealer, dann einen, der einen Mann vor einem Geldautomaten zusammenschlägt. Des Weiteren wird eine junge Frau entführt und von einem Zuhälter zu sexuellen Handlungen gezwungen. Alle Protagonisten sind Roma aus Ungarn. Doch es ist nur eine Inszenierung, denn bald werden Zuschauer in einem Theatersaal eingeblendet, die sich das Spektakel mit den eben genannten Figuren anschauen.
Der Regisseur (Kristóf Horváth) des Stücks will Großes leisten: ein Schauspiel über Roma präsentieren, über Kriminalität, Armut, Vorurteile, Stereotype. Aber er will dem Publikum auch einen Spiegel vorhalten. Wenn die Zuschauer Mitgefühl mit den Opfern von prekären Verhältnissen und Gewalt aufbringen, bewiesen sie sich eigentlich nur selbst, dass sie gute Menschen seien, so sein Motto.
Verwirrspiel auf mehreren Ebenen
So treibt der Spielfilm „Three-Thousand Numbered Pieces“ von Regisseur Ádám Császi ein Verwirrspiel auf mehreren Ebenen. Sein Werk, das auf dem Theaterstück „Gypsy Hungarian“ basiert – es wurde von Mitgliedern einer Roma-Theatertruppe geschrieben – changiert zwischen Theatersaal, Realität und Fantasie, inszenierten Szenen und dem Leben hinter den Kulissen. Die Grenzen zwischen Inszenierung und wahrem Leben verschwimmen – und doch sind beide fiktiv, wenden sie sich doch an ein weiteres Publikum: die Zuschauer im Kinosaal.
Dem Spiel mit den diversen (Meta-)Ebenen ist nicht immer leicht zu folgen. Man weiß nie, in welcher Inszenierung man sich gerade befindet – der des namenlosen Theater-Regisseurs im Film oder der des Filmregisseurs Császi. Hier werden ohne viel Rücksicht auf Chronologie, Erzähllogik oder das Vorwissen des Kinopublikums auf mitunter brachiale Weise Thesen aufgestellt und gleich wieder hinterfragt. So werfen die schauspielernden Roma dem Regisseur auch seine Dekonstruktion vor. Er sei weiß, könne sich nicht in ihr Leben hineinversetzen und nutze sie für seine Kunst aus. Die Frage nach Ausbeutung, kultureller Aneignung, gut Gemeintem oder woken Konzepten und Irrwegen dekliniert der Film mal unernst, dann wieder grimmiger, aber immer mit viel Witz und Tempo durch.
Auch die deutsche Kulturszene bekommt ihr Fett weg
So exportiert der Regisseur sein Spektakel auch nach Deutschland, in das fiktive Berliner „Stadttheater“. Dort ereifern sich Journalisten auf der Pressekonferenz über das Konzept des Stücks und werden von den Roma prompt als „Nazis“ abgekanzelt. Auch die deutsche Kulturszene bekommt ihr Fett weg. Komik kommt auf, wenn der selbstgefällige Berliner Theatermanager (Wieland Speck) seine Inszenierung mit der „Ugandan Crossgender Army“ vor dem ungarischen Regisseur preist. Dort singen und agieren afrikanische Transpersonen, die mit Maschinengewehren herumballern. Sie seien ehemalige Kindersoldaten, sagt der Berliner, und alle dargestellten Szenen basierten auf ihrem Leben.
Der ungarische Regisseur wiederum lobt den Realismus seines eigenen Stücks. Auch in seinem Stück sei alles wahr. Für die Inszenierung hat er extra ein echtes Haus aus der ungarischen Roma-Siedlung nach Berlin transportieren und es in 3000 Einzelteile zerlegen lassen. Denn er wolle auch den Gestank der Roma-Siedlung in der Inszenierung plastisch herüberbringen. So stechen sich die eitlen Theatermacher gegenseitig aus. Sie wollen vor allem eine Show, übertreiben dabei maßlos und führen Armut und Gewalt vor – alles mit einem humanistischen und woken Anstrich. Doch dabei entscheiden sie über die Köpfe ihrer Darsteller hinweg und manipulieren sie auch hinter den Kulissen. So werden die Roma in einem Luxushotel untergebracht, in dem – vom Berliner Theatermanager bezahlte – Studenten sie wie Lakaien bedienen.
Wieder am Rande einer ungarischen Stadt abgeladen
Doch irgendwann holt die Roma ihre Wirklichkeit wieder ein. Dann wird ihr Haus wieder an ihrem Wohnort aufgebaut. Man lädt sie im wahrsten Sinne des Wortes wieder in ihrer trostlosen, von Bergen umgebenen Siedlung am Rande einer ungarischen Stadt ab, wo sie wie Aussätzige behandelt werden. Schon in der Schule gefällt sich ein rassistischer weißer Lehrer darin, seine Roma-Schüler mit seinen eigenen Vorurteilen zu konfrontieren. Wenn am Ende die Kamera an den ärmlichen Häusern und Gärten der Roma-Siedlung entlangfährt, wirkt das zum ersten Mal realistisch, ja dokumentarisch.