Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Die Erzählung des Panzerfilms „Der Tiger“ von Dennis Gansel beginnt im Jahr 1943 direkt an der Ostfront, wo sich sowjetische Soldaten den deutschen Einheiten nähern. Auf dem Gebiet der heutigen Ukraine tobt eine Schlacht um eine Brücke über den Fluss Dnjepr. Während draußen alles im Flammen- und Beschussinferno versinkt, bebt im Innern eines deutschen Wehrmachtspanzers vom Typ Tiger das ganze Instrumentarium. Im beengten Metallgefängnis steht den fünf Männern der Schweiß auf der Stirn, während der Lärm der Detonationen, das Knirschen und Stahlkreischen um sie herum immer bedrohlichere Ausmaße annimmt. Im letzten Moment gelingt ihnen die Flucht vor den Feinden. Die Brücke, auf der sich der Panzer befindet, soll gesprengt werden. Im letzten Moment erreichen sie in ihrem gepanzerten Fahrzeug rettenden festen Boden.
Hinter die feindlichen Linien
Schon die Eröffnungssequenz ist extrem nervenaufreibend und intensiv. Die Kamera von Carlo Jelavic ist mitten unter den Männern platziert, die von David Schütter, Laurence Rupp, Leonard Kunz, Sebastian Urzendowsky und Yoran Leicher gespielt werden. In der Folge erhält die Besatzung unter ihrem Kommandanten Gerkens einen Geheimauftrag, der sie tief ins feindliche Gebiet führt. Sie sollen den flüchtigen Nazi-Oberst von Hardenburg (Tilman Strauß) ausfindig machen und in das von deutschen Truppen kontrollierte Gebiet schaffen.
Damit beginnt für die Panzerfahrer ein Höllentrip hinter die feindlichen Linien, eine „Reise ins Herz der Finsternis“. Die Inszenierung lehnt sich dabei an den Kriegsfilm-Klassiker „Apocalypse Now“ an, in dem Martin Sheen als US-Offizier eine ähnliche Mission bis nach Kambodscha führte, um einen abtrünnigen Colonel auszuschalten. Gansel ist als Filmemacher aber smart genug, um nicht zu viele Anleihen zu machen; er belässt es bei dezidierten Anspielungen. Seine Inszenierung auf engstem Raum und die damit verbundenen Charakterstudien lassen auch an „Das Boot“ von Wolfgang Petersen denken. Und auch an „Lebanon“ von Samuel Maoz, der vollständig im Innern eines israelischen Kampfpanzers spielt.
Die historische Dimension
Gansel nutzt diese filmischen Referenzen auf seine Art. Von „Apocalypse Now“ übernimmt er die Struktur einer Mission ins feindliche Hinterland; allerdings mit Fokus auf den inneren Konflikt eines Kommandanten und seiner Crew. Die klaustrophobische Enge und das Mitfiebern im Maschinenraum erinnern an „Das Boot“; doch wo Petersen die Zermürbung über eine lange Zeitspanne dehnte, verdichtet Gansel die Spannung zum atemlosen Höllensturz. Und wo „Lebanon“ die formale Idee nutzte, das Geschehen fast durchgängig aus der Panzerperspektive zu zeigen, bricht „Der Tiger“ dies auf, indem er neben intensiven Szenen aus dem Innenraum auch regelmäßig nach draußen schneidet, um die historische Dimension sichtbar zu machen.
Die deutsche Wehrmacht war keine Armee von Unschuldigen. Der Film verfolgt durchaus auch das Anliegen, die Verbrechen der deutschen Soldaten sichtbar zu machen. Die fünf Männer sind dabei keine ideologisch Getriebenen oder überzeugten Nationalsozialisten; sie folgen aber dennoch stur ihrer Order, welche die Befehlskette vorgibt. Im Verlauf des Films wird dieser Befehlsgehorsam erzählerisch durchaus in Frage gestellt, vor allem durch die von David Schütter sehr eindringlich verkörperte Hauptfigur Gerkens. Ein Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, der im Extremfall zum erzwungenen Einsatz an der Front führt.
Vom Wahnsinn ihrer Zeit gepackt
Gansel tappt dabei nicht in die Falle, ein sentimentales Märchen über „unsere Jungs“ an der Front oder gar einen revanchistischen Film in „Landser“-Manier aufzutischen. Dennoch gelingt es dem Filmemacher nicht, über das beeindruckende technischen Vermögen hinaus die historische Fallhöhe seiner Erzählung greifbar zu machen. In einer finsteren Szene erlebt man zwar das Morden von SS und Wehrmacht an der ukrainischen Bevölkerung eines kleinen Ortes. Die Dorfbewohner werden in eine Scheune getrieben, die in Brand gesetzt wird, worauf Frauen, Kinder und Männer bei lebendigem Leib verbrennen. In der Realität gab es viele solcher Verbrechen, begangen auch mit Unterstützung der deutschen Wehrmacht, wie es unter anderem die Hamburger Wehrmachtsausstellung Mitte der 1990er-Jahre offenbarte.
Gansel schreckt nicht vor der Unbegreiflichkeit solcher Verbrechen zurück, doch auf befremdliche Weise erhalten die Opfer solcher Massaker in „Der Tiger“ kaum Gestalt, keine Stimme oder ein Gesicht. Formal erzählt der handwerklich beeindruckend ins Werk gesetzte Film in konzentrierter Form von etwas anderem: nämlich von einer Panzerbesatzung, von ganz normalen Männern, die vom Wahnsinn ihrer Zeit gepackt und mitgerissen werden. Mitunter wird das in surreal anmutenden Szenen bedrängend greifbar, insbesondere am erzählerischen Höhepunkt und einer ungeahnten Plot-Wende, die Fieberträumen gleichen.
Der letzte schöne Sommer
Doch nach dem Töten, wenn das Schreien der ukrainischen Opfer in der Feuersbrunst verstummt ist, sitzt die Panzercrew beisammen und spricht über das Weingut eines ihrer Mitglieder oder davon, wie es vor Beginn des Krieges war, nach einem letzten schönen Sommer, den der ansonsten in bleischweren Grautönen fotografierte Film in einer Rückblende golden und warm erscheinen lässt. Man ist sich an dieser Stelle aber nicht ganz sicher, ob die psychische Abspaltung, welcher die Männer hier offenbaren, nicht auch eine des Filmes selbst ist. Denn eine Perspektive jener Menschen, die auch schon vor 1939 keinen „schönen Sommer“ mehr kannten, fehlt in „Der Tiger“ auf geradezu schmerzliche Weise.
Auf der Flucht vor der Roten Armee müssen der Panzer und seine Besatzung auch auf einen Tauchgang gehen. In einer besonders nervenaufreibenden Szene soll der Jüngste (Yoran Leicher) eine Landmine entschärfen. Das sind Momente, die eine bravouröse Inszenierungskunst der kreativen Gewerke bezeugen. Fragen wie jene, was es für blutjunge Menschen bedeutete, im Zweiten Weltkrieg an die Front zu müssen, stellen sich im Jahr 2025 noch einmal neu. Auch dies wird in „Der Tiger“ deutlich.
Der Film bewegt sich dabei unweigerlich auch im Windschatten von Edward Bergers „Im Westen nichts Neues“. Die ambivalente Inszenierung von „Der Tiger“ lässt durchaus eine pazifistische Deutung im Sinne einer Friedensbotschaft zu, welche sich insbesondere in der Zuspitzung auf die Frage nach dem individuellen Gehorsam stellt. Eine reine Opfererzählung „unserer Jungs“, die unverschuldet in die historische Schuld schlitterten, lässt Gansel auf diese Weise nicht zu. Doch ob man den Film primär im Hinblick auf die Frage der persönlichen Verantwortlichkeit interpretieren wird, darf bezweifelt werden; die naheliegende Rezeption als spannender Genre- und Kriegsfilm birgt hingegen die Gefahr historischer Bewusstlosigkeit. „Der Tiger“ ist ein zwar hochprofessionell inszenierter, aber sehr ambivalenter Beitrag, der den geschichtlichen Fallstricken nicht gänzlich entkommt.