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Filmkritik
Der etwas kryptische Titel, soviel muss vielleicht vorab erklärt werden, ist kein Befehl. Er meint also nicht: „Ihr da draußen, zerlegt die Welt!“ Denn das macht die Menschheit gerade sowieso. Rauchende Trümmerlandschaften, Schutthalden und Krater überall: Männer mit kurzer Zündschnur haben das doch ganz effizient hingekriegt.
Nein, in Janek Riekes Komödie „Beule - Zerlegt die Welt“ ist es ein einzelner Mann namens Olli, genannt Beule, gespielt vom Regisseur selbst, der die Welt zerlegt. Seine kleine, überschaubare Welt am norddeutschen Meeresrand. „OH“ lautet hier das Autokennzeichen, und zwar berechtigt. Seinen Spitznamen verdankt Beule dem Umstand, dass er bei den zahlreichen Handgreiflichkeiten, in die er von Jugend auf verwickelt ist, meist einsteckt. Mit seinen Kumpels verbindet ihn eine herzhafte Hassliebe, die sich meist weniger durch Rat auszudrücken vermag als durch Schläge.
Er kann alles erklären
Schon zu Beginn drischt Olli mit einer Axt auf einen Zigarettenautomaten ein, einfach weil es ihm guttut. Abgesehen natürlich von dem Kinnhaken, den er sich mit dem zurückprallenden Beil selbst verpasst. „Eigentlich bin ich ’n ruhiger Typ“, erklärt er seinem Publikum im Voice-over, während das Bild kurz vorm Eskalationsmoment einfriert, damit auch die langsamen Boomer mitkommen, „aber Sie wissen ja nicht, was letztes Jahr passiert ist.“ Er kann das nämlich alles erklären.
Der Film wickelt also auf, wie es zu diesem Ausnahmezustand kam, der aber andererseits keiner ist, weil Beule ist, wie er ist. Eigentlich fühlt sich Olli, der sein Geld durchs Reparieren von Booten verdient, rundum glücklich. Seine Freundin Anja (Julia Hartmann) hat denselben Musikgeschmack und Humor wie er, das undichte Dach und die bescheidenen Verhältnisse machen ihr so wenig aus wie ihm. Doch dann hält Irrationales Einzug, es bahnt sich an durch den Verlust des geliebten Hundes; in fast jeder Einstellung, die Anja zeigt, sind auch Fotos des Tiers zu sehen. Es spitzt sich zu durch Ollis längere Seefahrt. Bis sich Anja offenbart: Sie will ein Kind. Jetzt. Olli will nicht, weil er überzeugt ist, ein fieser Vater zu werden, lässt sich dann aber doch darauf ein. Um sich kurz darauf mit der Tankstellen-Schönheit Mia (Nilam Farooq) zu trösten, denn zuhause ist es durch Anjas hormonell bedingte Zornesausbrüche plötzlich nicht mehr auszuhalten. Julia Hartmanns spitze „Olli!“-Rufe, wenn es ihr nachts nach Erdbeereis gelüstet, sollte man mitschneiden, sie ließen sich zur Taubenabwehr oder als akustische Kriegswaffe wirkungsvoll zweitverwerten.
Sie kann gar nicht anders
Tierhaft, wie das Weib ist, kann Anja allerdings gar nicht anders, als ihren Partner ihrerseits zu betrügen, und zwar mit dessen Bruder, weil der genauso rieche wie Olli. „Ich wollte gar nicht an ihm riechen“, wird sie später sagen, „aber dann habe ich’s gemacht, weil du mir so gefehlt hast.“ Herrliche Dialogzeilen, mit denen Janek Riekes eigenes Drehbuch über so manches Stereotyp hinwegtröstet.
Dieser Bruder wird selbstverständlich ebenfalls die Axt zu spüren bekommen, und dass er gespielt wird vom Klaus-Kinski-Imitator Max Giermann macht die Sache nicht besser. Giermann tritt außerdem noch als zwanghafter Muttermörder-in-spe auf, Patient bei jener Psychotherapeutin (Freya Trampert), die Ollis und Anjas Hund überfahren hat. Das tut in seiner beherzt albernen B-Moviehaftigkeit wirklich schön weh.
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist Janek Riekes erste – und bis heute letzte – Regiearbeit her. „Härtetest“ (1997) über einen sanften jungen Mann, der einer hochemanzipierten „Ökoterroristin“ beweisen will, kein „Weichei“ zu sein, wurde von der Kritik wegen seiner „Unbekümmertheit“ und „Unverkrampftheit“ sehr wohlwollend besprochen. Es waren Social-Media-lose Zeiten, in denen Kulturkämpfe übers Gendern, toxische Männlichkeit, Grünen-Bashing und Hafermilch entweder noch über kein eigenes Vokabular verfügten oder in harmloser Übersichtlichkeit vor sich hin köchelten. Kein Wunder also, dass Rieke die Motivation für seinen Zweitling nicht so beschreibt: Es geht um die Frauen, die wegen ihrer Hormone den Männern die Hölle heißmachen, und um die Männer, die ihr wahres Ich dauernd verstecken müssen und dann halt explodieren. Sondern so: „Ich wollte einen Film übers Verzeihen drehen, darüber, wie wichtig es ist, gnädig zu bleiben und wie schwer das ist, wenn man verletzt wurde.“ Eigentlich ist auch dieser Film „ganz anders“, und dieses Andere funkelt tatsächlich auch zwischen den Zeilen hindurch, aber dann ging es mit dem Regisseur durch.
Aus der Zeit gefallen und mit nostalgischem Charme
Also ist „Beule“ folgerichtig ganz ohne öffentliche Fördermittel entstanden. So sehr aus der Zeit gefallen war schon lange keine deutsche Komödie mehr, und das hat seinen nostalgischen Charme. Als habe es nie so etwas wie Debatten über Partnerschaftsgewalt gegeben, keine Fortschritte in der Erkenntnis, dass das Patriarchat auch Männern nicht guttut und sie unter Druck setzt, wenn sie Karriere, Partnerschaft auf Augenhöhe und Kinderkriegen hinbekommen wollen – wenngleich sie dafür noch immer ein größeres Zeitfenster und meist auch mehr Geld zur Verfügung haben als Frauen.
„Beule“ pfeift auf all das, die Axt ist Programm. Das Eskalations-Level wird schnell hochgefahren und bleibt dann bis zuletzt auf diesem hohen Brüll-, Schrei-, Heul- und Schlapplach-Niveau. Ein Film wie Konzeptkunst, als stünde man in einer Ausstellung zwischen zwei Monitoren: Auf dem einen läuft eine romantische Liebes- und Familiengründungsschmonzette, auf dem anderen „Vier Fäuste für ein Halleluja“, wo sich im Sekundentakt verkloppt wird. Nicht umsonst werden Filme mit Bud Spencer und Terence Hill gerade wiederentdeckt), sie scheinen so etwas wie ein Antidot gegen die allgegenwärtige Sensitivität zu sein.
Die um jeden guten Geschmack unbekümmerte Komik und geradezu rituelle Schlagzahl des Draufdreschens entwickelt durch ständige Gegenschnitte zwischen Liebesschwur und Brüllattacke eine bemerkenswerte Wirkung: Der zunächst humorvolle Kontrast verwischt, und eine Verbindung tritt zutage: Ist das eine – der Totalverlust von Selbstkontrolle – womöglich die Folge des anderen – dem Dogma der romantischen Liebe? Das Bizarre überzogener Erwartungen an Partnerschaft und Familie trifft „Beule“ so schmerzhaft auf den Punkt, dass dieser Film dann doch noch als zeitgenössischer Kommentar zu aktuellen Gefühls- und Diskurs-Verkrampfungen funktioniert.